Sprachliche Missverständnisse sind auch bei gutem Willen oftmals nicht vermeidbar. Die Erfahrung zeigt, dass egal wie viel Mühe und Aufwand in eine eindeutige und verständliche Sprache gesteckt wird, immer Platz für Missverständnisse bleibt. Es stellt sich deshalb die Frage, ob und wie die Sprache und deren Anwendung überhaupt geeignet sind, solche Missverständnisse zu vermeiden.
Der österreichische Philosoph und Mathematiker Ludwig Wittgenstein (1889 – 1951) versuchte in seinen Arbeiten aufzuzeigen, wie die Welt sprachlich beschrieben werden kann. Er wollte die Grenzen des für Menschen Beschreibbaren festlegen und den Zusammenhang zwischen Sprache und Wirklichkeit beschreiben. Er tat dies mit zwei verschiedenen Zugängen zur Sprache (Sprachphilosophien):
- In seiner ersten Schaffensphase (früher Wittgenstein) beschrieb er in seinem Buch «Tractatus Logico-Philosophicus» (1922) die Philosophie der idealen Sprache. Der Grundgedanke ist, dass die Alltagssprache in vielerlei Hinsicht mangelhaft ist und bei bestimmten Anwendungsfällen durch eine formale Sprache verbessert oder gar ersetzt werden muss. So genügt die Alltagssprache z.B. den Ansprüchen der Logik oder der Informatik nicht. Der eigentliche Sinn eines Gedankens wird durch die verwendete Sprache «verkleidet» und führt zu Problemen und Missverständnissen. Die formale Sprache hingegen basiert auf Logik und Mathematik, ist klar verständlich und in sich konsistent.
- Zwischen 1929 und seinem Tod 1951 erkannte Wittgenstein, dass er in seinem frühen Werk eine Aufgabe der Sprache herausgenommen und zu einer allgemeinen Theorie verallgemeinert hatte. In dieser Phase (später Wittgenstein) gelangte er zur Ansicht, dass die Sprache wie ein Werkzeug für verschiedene Aufgaben verwendbar sei. Nach seinem Tod erschien als zweites wichtiges Werk die Philosophischen Untersuchungen (1953). Diese befassen sich mit der Analyse der normalen bzw. natürlichen Sprache im Alltag. Diese Philosophie betrachtet die Alltagssprache nicht als defizitär, sondern als völlig brauchbar für die Verständigung im sozialen Umfeld. Wichtig ist dabei, dass die Bedeutung eines Wortes durch dessen Gebrauch im Alltag festgelegt wird. Missverständnisse ergeben sich vor allem dann, wenn Begriffe aus ihrem üblichen Kontext herausgenommen und in einem anderen Zusammenhang verwendet werden.
Die gezielte Verwendung verschiedener Sprachphilosophien kann auch für die bessere Verständigung im Projektmanagement genutzt werden. Gründe, wann im Projektmanagement eher Ideale / Formale Sprachen verwendet werden sind:
- Je spezifischer ein Thema ist (grosse Tiefe aber geringe Breite der Themen). Oftmals wurden für eine bestimmte Problemstellung eigene Sprachen entwickelt – z.B. Programmiersprachen
- Je wichtiger Nachvollziehbarkeit und Berechenbarkeit sind – z.B. Formeln in Berechnungen
- Je klarer eine Anweisung sein muss – z.B. pharmazeutische Rezepturen
Gründe wann eher Normale / Natürliche Sprachen verwendet werden:
- Je wichtiger eine einfache Lesbarkeit ist – z.B. vereinfachte Sprache für Fremdsprachige
- Je heterogener das Zielpublikum ist – z.B. Zielpublikum aus verschiedenen Bereichen
- Je höher der Unterhaltungswert sein soll – z.B. Projekt-Zusammenfassungen
- Je länger der Text und somit die Aufmerksamkeitsspanne des Lesers sein muss
Um die Art der Sprache zu bestimmen, können folgende Hinweise nützlich sein:
- Zielpublikum abklären – z.B. Erwartungshaltung, kulturelle Zugehörigkeit
- Verwendungszweck abklären – Branche, Einsatzzweck
- Vorgeschichte abklären – z.B. bisherige Gepflogenheiten, Probleme
- Zeit- und Kostenbudget abklären – z.B. Beizug von externen Spezialisten
Eine Sprache alleine ist nicht immer ausreichend für eine erfolgreiche Verständigung. Deshalb kann es sinnvoll sein:
- Mehrere Sprachen gleichzeitig verwenden, um verschiedene Zugänge zum Thema zu bieten.
- Zusätzlich zum eigentlichen Inhalt ergänzende Beschreibungen liefern, die das Thema weiter eingrenzen. Ein Glossar oder Anwendungsbeispiele können hier z.B. weiterhelfen.
- Die Lesbarkeit von Texten mit grafischen Strukturen wie Einrückungen, Aufzählungszeichen, etc. zu erhöhen.
- Neben der Sprache weitere Zeichensysteme wie Pläne, Noten, grafische Symbole, etc. verwenden.
Ludwig Wittgenstein: Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.
Literaturhinweise und Stichwörter:
Analytische Philosophie, Logischer Empirismus Positivismus), Ideale Sprache, Alltagssprache, Begriffsschrift von Gottlob Frege, Bertrand Russel, der Wiener Kreis, Sprechakttheorie, Sprachphilosophie, Semiotik, Zeichensysteme
Lehmann, Christian (2013): Formale Sprachen. Universität Erfurt. Online verfügbar unter https://www.christianlehmann.eu/ling/elements/index.html?https://www.christianlehmann.eu/ling/elements/formale_sprachen.html, zuletzt aktualisiert am 11.09.2013, zuletzt geprüft am 18.05.2018.
Magee, Bryan; Leineweber, Bernd; Mischer, Sibille (2007): Geschichte der Philosophie. München: Dorling Kindersley.
Wikipedia Autoren (2018): Sprachphilosophie. Hg. v. Die freie Enzyklopädie Wikipedia. Online verfügbar unter https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Sprachphilosophie&oldid=176889425, zuletzt aktualisiert am 26.04.2018, zuletzt geprüft am 18.05.2018.
Wittgenstein, Ludwig (1922): Tractatus Logico-Philosophicus. With an Introduction by BERTRAND RUSSELL, F.R.S. London: KEGAN PAUL, TRENCH, TRUBNER & CO., LTD.
Wittgenstein, Ludwig (1999): Philosophische Untersuchungen. 1953; S. 231 – 485. Werkausgabe. Frankfurt am Main: Suhrkamp (1).